Antworten von Andreas Babler

1. Welche ökologisch vertretbare Wirtschaftsmodelle sind neben dem derzeit real existierenden kapitalistischen Wachstumsmodell für dich vorstellbar bzw. visionär anstrebenswert?
Ich denke, dass wir gegenwärtig an einem Scheidepunkt stehen, wo sich der Kapitalismus zunehmend von Demokratie und ökologischer Nachhaltigkeit trennt. Daher sollten wir aus meiner Sicht damit beginnen, Systemfragen zu stellen und neue Spielregeln für Wirtschaft und Gesellschaft entwickeln, damit das System für alle funktioniert. Es gibt ohne Zweifel Bereiche, die umso mehr zum gesellschaftlichen Wohlstand beitragen, je weniger sie nach kapitalistischen Prinzipien funktionieren und dem Profit-Imperativ unterworfen sind: Beispiele sind der Energiesektor, das Gesundheits- und Pflegesystem, aber auch Wohnen oder der öffentliche Verkehr. Ich stehe alternativen Formen des Wirtschaftens aller Art, die auf menschliches Wohlergehen und nicht auf Profite und Wirtschaftswachstum ausgerichtet sind, sehr offen gegenüber und glaube, dass es die Aufgabe der Sozialdemokratie sein muss, diese Formen zu stärken und zu entwickeln. Der von mir vorgeschlagene Green New Deal ist ein Beginn für einen sozial-ökologischen Umbau, etwa durch die Stärkung und den Ausbau von öffentlicher Infrastruktur und die Förderung von sozial-ökologischer Unternehmenstätigkeit, Arbeitswelt und Mobilitätssystemen.

2. Was sind deine Visionen für eine feministische Zukunft der Partei und für eine feministische Zukunft unserer Gesellschaft?
Ganz grundsätzlich verstehe ich Feminismus als Kampf gegen Unterdrückung von Frauen und den Kampf zur (Selbst-)Befreiung von Frauen. Mein Begriff von Feminismus ist auch stark von Johanna Dohnal geprägt. Sie hat gesagt, dass die Vision des Feminismus keine „weibliche Zukunft, sondern eine menschliche Zukunft ist”, in der wir alle gemeinsam besser leben. Ich bin solidarisch mit den Kämpfen von Frauen um sexuelle Selbstbestimmung, um reproduktive Rechte, um gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit, um eine gerechte Zukunft für alle Menschen. In jedem Politikfeld geht es letztlich auch um Frauenpolitik. Wir müssen aber auch als Partei einsehen, dass die SPÖ ein Spiegel der Gesellschaft ist und auch bei uns noch viel für Frauen in der Organisation getan werden muss. Die SPÖ-Frauenorganisation ist für mich ein wichtiger inhaltlicher Motor für progressive Frauenpolitik, aber auch beispielsweise für eine mutige Wirtschafts- oder Arbeitsmarktpolitik. Die SPÖ Frauen waren historisch in vielen Bereichen Pionierinnen, sie sind Garantinnen für den Kampf für Gleichberechtigung innerhalb der SPÖ. Das Erste, was beseitigt gehört, ist die Ungerechtigkeit beim Gehalt. Wir brauchen einen Rechtsanspruch auf gleichen Lohn. Ich bin für das neuseeländische Modell: mit einer verpflichtenden Transparenz bei Gehältern und Strafen für Unternehmen, die Männer und Frauen ungleich bezahlen. Ich hatte damals, als ich in der Fabrik gearbeitet habe, eine Kollegin, die mit mir an derselben Füllanlage gestanden ist. Sie hat genau die gleiche Arbeit gemacht, musste schwere Leimkübel ziehen, zur Not in die Maschine reinklettern und alles wieder zum Laufen bringen. Sie hat damals um30 Prozent weniger verdient als ich, eine unfassbare Ungerechtigkeit. Ich habe das nie vergessen. Ich trete auch für eine staatliche Unterhaltsgarantie als Koalitionsbedingung, für eine 50:50-Quote im Parlament und den Zugang zu kostenfreien Schwangerschaftsabbrüchen in öffentlichen Spitälern ein.

3. Welchen Reformbedarf siehst du in Bezug auf unser Staatsbürger*innenschaftsrecht?
Jede fünfte in Österreich lebende Person und in Wien sogar jede dritte Person haben keine österreichische Staatsbürger:innenschaft. Viele haben sie nicht, obwohl sie seit Jahrzehnten hier leben und arbeiten. Aber eben in Jobs in der Pflege, der Reinigung oder am Bau, in denen sie zu wenig verdienen, um die Einkommensgrenzen zu erfüllen. Die Einbürgerung darf aber nicht vom Einkommen abhängen. Es darf nicht sein, dass sich nur Opernsänger:innen und Manager die Staatsbürger:innenschaft leisten können. Ich denke, dass die Staatsbürger:innenschaft ein wichtiger Bestandteil von Integration ist. Es gibt viel Debatte über das notwendige Deutschniveau von zugewanderten Leuten. Natürlich denke ich auch, dass der Spracherwerb wichtig ist. Dafür müssen wir mehr investieren und nicht, so wie die ÖVP an der Bundesregierung, den Zugang zu Deutschkursen erschweren, die Kurse beseitigen und verteuern. Wer hier lebt, möchte in der Regel auch die Sprache lernen und wir sollten das unterstützen und nicht erschweren.

4. Wie gelingt es dir, die unterschiedlichen Strömungen in unserer Partei unter deinem Vorsitz zu einen und welche weitere Demokratisierungs- und Mitmachprojekte wird es unter deiner Vorsitzführung geben?
Ich denke, dass eine Ursache für den Streit der letzten Jahre das Fehlen von Austausch und inhaltlicher Debatte in unserer Partei ist. Wir müssen die Politik der Hinterzimmer-Deals und der Ausrichtung auf bloße tagespolitische Taktiken beenden und unsere Positionen im ehrlichen Austausch miteinander finden und formulieren. Die drängenden Probleme unserer Zeit können wir am besten dadurch angehen, dass wir das Engagement und die Begeisterung unserer Mitglieder mobilisieren und voneinander lernen. Ich möchte in der Sozialdemokratie die Mitglieder stärken und die Entscheidungsstrukturen öffnen. Die Sozialdemokratie ist eine starke Bewegung und dazu gehören auch unterschiedliche Meinungen. Ich schätze den Austausch sehr und glaube, dass für alle, die sich zur Sozialdemokratie bekennen, Platz sein muss. Die Mitglieder wollen übrigens auch mitentscheiden. Bei der Befragung 2018 war eine überwiegende Mehrheit für eine direkte Vorsitzwahl oder für die Mitgliederabstimmung über Koalitionsabkommen. In diese Richtung sollten wir uns weiterentwickeln, ich möchte auf jeden Fall die Mitglieder über die Frage des Vorsitzes und über Koalitionsabkommen abstimmen lassen. Ich glaube auch, dass die Zeiträume zwischen den Parteitagen von drei Jahren zu lange sind. Unsere Stärke liegt in den Sektionen und Bezirksorganisationen vor Ort: Dort müssen wir zu echten Vertrauensleuten für alle Menschen in Österreich werden. Durch Mieter:innen oder Schuldnerberatung, das Begleiten bei Amtswegen oder Aufüllhilfen bei Formularen. So können wir uns das Vertrauen der Menschen zurück erarbeiten, die nicht mehr an unsere Durchsetzungskraft glauben.  Das stärkt die SPÖ von unten.

5. Welche 5 konkreten Maßnahmen sind für dich im Kampf gegen den Klimawandel in den kommenden 3 Jahren unbedingt umzusetzen?
Österreich möchte bis 2040 klimaneutral werden. Bis dahin ist nicht mehr viel Zeit. Wir müssen jetzt investieren. Wichtige Hebel sind ein Green New Deal für den sozial- ökologischen Umbau von Wirtschaft, Energiesystemen und Mobilität. Österreich hinkt in der EU hinterher, die Politik ist viel zu lange den Lobbies fossiler Energie gefolgt. Unsere Emissionen sind gegenüber 1990 fast unverändert. Der Rechnungshof bescheinigt, dass wir durch die bisherige Untätigkeit in Österreich hohe Kosten für Emissionszertifikate zu erwarten haben; wahrscheinlich bei den geltenden EU- Klimazielen bis 2030 mehr als zehn Milliarden Euro. Wir brauchen endlich wieder einen Fahrplan auf Bundesebene für die Erreichung der Klimaziele, denn der letzte ist 2020 ausgelaufen. Wir brauchen einen Plan zur sozial- ökologischen Transformation, der auf einen starken Staat, die Einbindung der Sozialpartner und der Zivilgesellschaft setzt. Ich schlage (1) einen Transformations- und Energiewende Fonds in der Höhe von 20 Mrd. Euro vor, der Dekarbonisierungsprojekte in emissionsstarken Betrieben initiiert und begleitet – durch staatliche Förderungen und Beteiligungen. Wir brauchen (2) auch einen massiven Ausbau öffentlicher Verkehrsmittel. (3) Für Menschen mit niedrigen Einkommen soll der öffentliche Verkehr gratis sein, damit hier Hürden abgebaut werden. Außerdem soll es (4) eine Pendlerpauschale für die Benützung des öffentlichen Verkehrs geben. Wer im Privatjet fliegt, verursacht 14x mehr CO2- Emissionen als jemand im Linienflug. Ich setze mich daher auch (5) für ein EU-weites Verbot von Privatjets ein.

6. Welche Ideen zur Überwindung der Mehrklassenmedizin hast du? Was ist der konkrete Plan das Zutodesparen des öffentlichen Bereiches zu beenden und die daraus folgende Privatisierung zu verhindern?
Menschen sind keine Bittsteller:innen, wenn sie krank sind und ärztliche Hilfe brauchen. Immer mehr Menschen erleben, dass sie monatelang auf einen Termin bei (Fach)Ärtzinnen und Ärzten warten müssen. Jene, die es sich leisten können, weichen auf Privatärztinnen aus. Das ist Zwei-Klassenmedizin, die abzulehnen ist. Besonders im Bereich der Kinder- und Jugendgesundheit sowie der Gynäkologie herrscht in vielen Regionen Österreichs wahre Unterversorgung. Auch sind für viele Menschen mit niedrigem Einkommen Selbstbehalte und Zusatzkosten im medizinischen Bereich schwer zu tragen. Ich bin für das Recht auf einen Termin beim Facharzt innerhalb von 14 Tagen. Dazu müssen wir das öffentliche Gesundheitssystem stärken. Wir brauchen einen raschen Ausbau öffentlicher Primärversorgungszentren – in ganz Österreich um die gesundheitliche Versorgung in allen Regionen sicherzustellen. Wir müssen die ärztliche Versorgung in Mangelfächern rasch verbessern, z.B. im Bereich Kinder- und Jugendmedizin oder in der Gynäkologie in allen Teilen Österreichs. Dazu brauchen wir besondere Stipendien und einen erleichterten Zugang für jene Medizinstudierenden, die sich verpflichten, in diesen Bereichen dem öffentlichen Gesundheitssystem eine gewisse Zeit zur Verfügung zu stehen. Außerdem müssenwir den Pflegeberuf attraktiver machen. Etwa durch einen besseren Personalschlüssel, die 32-Stunden-Woche und einen Rückkehr-Bonus und andere Maßnahmen zur Erleichterung des Wiedereinstiegs etwa mit Buddy-System und Supervision. Ich möchte auch den Elter-Kind-Pass um logopädische und ergotherapeutische Erstabklärungen und zahnmedizinische Leistungen erweitern. Grundsätzlich trete ich für die Wiederherstellung der demokratischen Arbeitnehmer:innen-Selbstverwaltung in der ÖGK ein, die unter Sebastian Kurz zerschlagen wurde.

7. Was umfasst für dich ein modernes System der sozialen Sicherheit und was ist für dich die ideale Organisationsform einer Sozialversicherung?
Der österreichische Sozialstaat hat in der Corona-Krise gezeigt, was er leisten kann. In Zeiten vielfacher Krisen müssen wir die sozialen Netze aber enger knüpfen. Das Arbeitslosengeld ist mit 55 Prozent auch im internationalen Vergleich viel zu niedrig ausgestaltet. Langzeitarbeitslosigkeit bedeutet fast sicher, in Armut zu rutschen. Diesen Menschen müssen wir mit einer Jobgarantie ein Einkommen bieten und ihnen ihre Würde zurückgeben. Die Ausgleichszulage vulgo Mindestpension ist deutlich unter der Armutsgrenze bemessen. Hier müssen wir dringend höher ansetzen. Und was mich persönlich besonders trifft: Ich möchte nicht in einem Land leben, in dem jedes fünfte Kinder armutsgefährdet aufwachsen müssen, in dem nicht alle Kinder ein warmes Essen am Tag bekommen. Die unfassbar niedrigen Regelsätze für Kinder in der Mindestsicherung programmieren Armut geradezu. Die Kinderarmut müssen wir mit einer Kindergrundsicherung abschaffen. Der österreichische Sozialstaat ist gut, aber wir müssen ihn ständig weiter ausbauen. Die Grundidee unseres Sozialversicherungssystem ist, dass die Versicherten ihr System, die Gelder, die sie einzahlen und die Leistungen, auf die sich Anspruch haben, selbst verwalten. Die Sozialversicherungsreform von Kurz/Strache hat die Entscheidungsmacht in der Krankenversicherung von den Arbeitnehmer:innen zu den Arbeitgeber:innen verschoben. Statt einer versprochenen Patient:innenmilliarde für den Ausbau von Leistungen sind hunderte Millionen an Fusionskosten entstanden. Statt einer angekündigten Harmonisierung der Leistungen haben wir nun ein Vier-Klassen-System mit unterschiedlichen Ansprüchen und Wartezeiten: Für die Beamt:innen, die Selbstständigen, die Arbeitnehmer:innen und die Privatpatient:innen. Die Idee der Selbstverwaltung ist auch heute noch modern. Wir müssen den Arbeitnehmer:innen wieder die volle Kontrolle über ihre Gelder in der Selbstverwaltung der ÖGK geben und damit auch die Gestaltungsmöglichkeiten der Arbeitnehmer:innen im Dachverband stärken.

8. Wie siehst du vor dem demographischen Hintergrund unserer Gesellschaft die Rolle unserer Jugend in Hinblick auf Partizipation, Mitbestimmung und Gestaltung der Gesellschaft?
Ich stehe für eine Politik, die Kinder, ihre Bedürfnisse und Interessen wirklich ins Zentrum stellt. Nicht als Lippenbekenntnis, sondern als Methode. Das haben wir in Traiskirchen vorgezeigt. Bei uns bekommt jedes Kind ein frisch gekochtes Mittagessen aus regionalen Zutaten. Wir erhalten unser Schwimmbad trotz Kostendruck – und haben die Angebote der Stadt vom Stadtmuseum bis zum Gartender Begegnung immer aus Sicht der Kinder gestaltet. Da gehört auch immer Einbindung und Beteiligung der Kinder und Jugendlichen dazu. In Österreich haben wir Aufholbedarf, wenn es darum geht, dass jedes Kind ein gutes Leben haben soll. Der Sozialstaat hat Löcher, jedes 5. Kind ist von Armut bedroht. Daher müssen wir, wenn wir über Teilhabe sprechen, auch über die finanzielle Absicherung sprechen. Wir wissen, dass Armut auch zu einer geringen Beteiligung von demokratischen Prozessen im Erwachsenenalter führt. Es ist also auch eine Frage der Zukunft der Demokratie, dass wir Kinderarmut abschaffen. Wenn es um die Frage der Wahlberechtigung geht, wissen wir leider, dass ein Teil der Jugendlichen in Österreich von der Mitbestimmung ausgeschlossen ist, weil sie nicht die österreichische Staatsbürger:innenschaft haben – obwohl sie schon viele Jahre, manchmal ihr ganzes Leben hier wohnen. Daher trete ich für einen leichteren Zugang zur Staatsbürger:innenschaft ein, damit Menschen auch politische Teilhabe bekommen.

9. Wohnungskosten und leistbarer Wohnraum versus Immobilienspekulation – wie hast du vor, das eine zu gewährleisten und das andere abzustellen?
Die Zinslage der vergangenen Jahre hat dazu geführt, dass Boden zum sogenannten Betongold wurde. Immobilienkonzerne kaufen Flächen auf und bauen Wohnungsprojekte, die sich kein Mensch leisten kann und niemand braucht – sogenannte Anlagewohnungen. Abertausende stehen leer und verzerren den Wohnungsmarkt. Die hohen Bodenpreise führen weiters dazu, dass es für gemeinnützige Bauträger immer schwieriger wird, Flächen für neue Projekte zu akquirieren, die wir dringend brauchen. Die öffentliche Hand hat hier Handlungsdruck. Auf Gemeinde- und Landesebene kann mit Raumordnungspolitik eingegriffen werden, Grundstücke können strategisch gekauft oder umgewidmet werden. Sozialer Wohnbau hat einen stark preisdämpfenden Effekt und muss offensiv ausgebaut werden. Die Wohnbauförderung muss erhöht und streng zweckgewidmet werden. Auf Wohnraum, der leer steht und mit dem einfach spekuliert wird, muss eine bundesweite Leerstandsabgabe eingeführt werden, die Spekulation unattraktiv macht.

10. Welche zwei Worte fallen dir jeweils zu folgenden Begriffen ein?
– Asylmissbrauch:
ideologischer Kampfbegriff
– qualifizierter Zuzug: und sichere Fluchtwege
– Festung Europa: rechtsextremer Ursprung
– Internationalismus: sozialdemokratische Stärke

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